Auszug aus "Die Bauhütten des Mittelalters", W. Malota 1989
RITUALE UND BRÄUCHE IM MITTELALTER |
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Die Gesellen
genossen auf ihren Wanderungen gewisse Privilegien. So
wurde ihnen z.B. in einigen Herbergen freie Kost und
Logis gewährt. Wenn es nicht möglich war, ihnen eine
Arbeit zu vermitteln, so erhielten sie zusätzlich ein
Reisegeschenk, die "Hilfe". Wie bereits erwähnt, war die Bauhütte ein Geheimbund, in den möglichst kein Außenstehender Einblick gewinnen sollte. Es war also erforderlich, dass die Brüder, die Eingeweihten, sich untereinander ausweisen konnten, um sich so gegen fremde Eindringlinge und Betrüger abgrenzen zu können. Es gab jedoch zu dieser Zeit noch keine Ausweispapiere, und nur wenig Menschen waren des Lesens und Schreibens kundig. Aus dieser Notwendigkeit heraus haben sich bestimmte Erkennungszeichen und Rituale entwickelt, die im Folgenden kurz dargestellt werden sollen. |
Steinmetzzeichen
Eines der wichtigsten, weil auf die individuelle Person bezogenes Erkennungsmerkmal war das Steinmetzzeichen. Ursprünglich diente dieses Zeichen als Abrechnungshilfe bei der Lohnzahlung bzw. als Versetzhilfe am Bau, später gewann es an Symbolgehalt. Ab dem 12. Jahrhundert wurde dem Gesellen bei seiner Lossprechung sein persönliches Zeichen, das er ein Leben lang in Ehren zu halten hatte, durch den Meister verliehen. Es wurde zusammen mit seinem Namen in das Hüttenbuch eingetragen. Jeder Geselle mußte sein Zeichen lesen, d.h. symbolisch deuten, und stellen, d.h. geometrisch konstruieren können. Dieses Wissen wurde vor Aufnahme eines wandernden Gesellen in eine Hütte geprüft und diente als Schutz vor Mißbrauch. Es durfte nicht verschenkt, |
verkauft oder
verändert werden. Die Baseler Hüttenordnung forderte: "Es soll auch keiner sein Ehrenzeichen, das ihme von einem Handwerk verliehen und vergönnet worden ist, für sich selbs und eigens Gewalt ändern; so es ihm zu ändern vermeinet, solle er es mit Gunst, Wissen und Willen eines ganzen Handwerks tun."(14) Anfangs konstruierte der Meister die zu
verteilenden Zeichen auf der geometrischen Grundlage
seines ihm eigenen Zeichens. |
Das Straßburger Zeichen
basierte auf der Quadratur, das Kölner Zeichen
auf der Triangulatur, die Wiener
Haupthütte nahm den Vierpaß und die Züricher
Hütte den Dreipaß als Grundlage.
Die daraus entwickelten Zeichen sind Ausschnitte des
Mutterschlüssels, so dass ein Zeichen, das auf diesen
gelegt wird, immer deckungsgleich mit Teilen des
Mutterschlüssels ist.
HAUPTHÜTTE KÖLN Kloster Maulbronn ![]() |
HAUPTHÜTTE STRAßBURG Freiburger Dom ![]() |
HAUPTHÜTTE WIEN Ulmer Münster ![]() |
HAUPTHÜTTE ZÜRICH St. Barbara, Kuttenb. ![]() |
Bis zum Anfang des 18. Jahrhunderts wurden die Steinmetzzeichen vielfach für Runen oder Geheimschriften gehalten. Später sind die Zeichen dann sehr unterschiedlich interpretiert und gedeutet worden, was angesichts der vielen tausenden von Zeichen, die einander notgedrungen sehr ähnlich waren und zudem nicht immer mit der gleichen geometrischen Präzision in die Werkstücke geschlagen worden sind, nicht verwunderlich ist. Unbestritten ist, dass sich der Charakter der Zeichen in den einzelnen Epochen geändert hat, so dass man aus ihrer Geometrie auf das Alter eines Bauwerks schließen kann. Im allgemeinen wurde Wert darauf gelegt, dass die Symbole nicht zu kompliziert wurden und nicht zu viele Rundungen aufwiesen, damit sie möglichst schnell mit Scharrier- | oder
Halbeisen eingeschlagen werden konnten. Die Meister
hatten keine besonderen Zeichen; sie behielten das
Zeichen, das ihnen bei der Lossprechung verliehen worden
war. Die Meisterzeichen sind daran zu erkennen, dass sie
von einem Wappenschild umgeben und an konstruktiv
hervorragenden Stellen, wie z.B. an Schlußsteinen,
Kapitälen usw. angebracht worden sind. Der gerechte Steinmetzgrund Ist der Sinn und der Symbolgehalt der Steinmetzzeichen für uns noch relativ leicht nachvollziehbar, so bereitet es erheblich mehr Schwierigkeiten, das Phänomen des gerechten Steinmetzgrundes zu verstehen. Der gerechte Steinmetzgrund beinhaltet das ganze Wesen und Geheimnis |
der
Konstruktion und enthält die Hauptfiguren Quadrat,
gleichseitiges Dreieck, Achtort und Kreis. Diese waren
Grundlage der gotischen Konstruktionen. Sie bestimmten
die Grundrisse der Kirchen, die Säulenstellungen und die
Höhenverhältnisse, also die gesamte architektonische
Komposition. Sie wurden zu einer geheimnisvollen, von mystischen Schleiern verhüllten Einheit zusammengefaßt und waren der Ursprung der Harmonie der mittelalterlichen Baukunst. Die mittelalterlichen Entwerfer kannten keine maßstäblichen Planzeichungen im heutigen Sinne. Die Grundrisse wurden nach einem geometrischen Verhältnisschlüssel entwickelt, der auf einem bestimmten, individuell unterschiedlichen Grundmaß basierte. |
Die Maßzahl des
Kölner Domes ist z.B. auf die Zahl 50 aufgebaut, die des
Stephansdomes auf die Zahl 37. Der Handwerker auf der
Baustelle hatte die Entwicklung der Formen in
Originalgröße zu wiederholen, wodurch natürlich auch
er eine große Verantwortung für die Maßgenauigkeit des
Gesamtwerkes trug. |
Ein Hüttenspruch der Kölner Bauhütte lautete:
"Was in Stain-Kunst zu
sehen ist
dass kein irr noch Abweg ist.
Sonder schnur recht, ein Lineal
Durchzogen den Cirkel vberall
So findest du Drei, in viere stehn,
Vnd also, durch ein, ins Centrum gehn,
Auch wieder auß dem Centro in drey
Durch die vier, im Cirkel ganz frey.
Des Steinwerks kunst vnd all die Ding,
Zu forschen macht das Lehrnen gering.
Ein punct, der in den Cirkel geht,
Der im Quadrat vnd drey angel steht,
Trefft ihr den Punkt, so habt ihr gar,
Vnd kompt auß Noth Angst und Gefahr.
Hie nmit habt ihr die ganze Kunst,
Versteht ihrs nit, so ists vmbsonst
Alles was ihr gelernt hab,
das klagt euch bald, damit fahrt ab." (15)
Mystik und
Symbolgehalt beschränkte sich nicht nur auf die
Konstruktionsregeln. Auch den Werkzeugen
wurde eine erhabene Bedeutung beigemessen. So bedeutete
der Maßstab die weise Einteilung der
kurzen Zeit menschlichen Lebens. Der Winkel war
das Zeichen der Gesetzlichkeit und des gerechten
Lebenswandels, das Richtscheit das
Zeichen der Gleichheit der Brüder, der Zirkel das
Wahrzeichen der geschlossenen Bruderschaft und
schließlich der Spitzhammer das Symbol
des Arbeitens an der eigenen Seele. |
"Albertus benützte zu seiner Bildung vieles aus den Schriften des Hermes Trismegistus und Plato und brachte den berühmten Lehrsatz des Pytagoras in Anwendung für den Kirchenbau. Dieser Lehrsatz gründete sich auf die Einheit, welche er in das Achtort, als den Mysterien-Schlüssel seiner neu erfundenen Baukunst legte; es ist dies aber das Eine, die Kraft, das unerforschliche Etwas, der Anfang und das Ende aller Zahlen, welche alle anderen Zahlen einschließe und doch selbst keine Zahl ist; es ist weder gerade noch ungerade, und macht doch beides aus, entspringt aus keiner Zahl und läßt sich durch keine arithmetische Formel herstellen u.f.w. es ist - Gott ! - und Gott ist Eins, und Eins ist ohne Anfang und Ende, - ewig, - was zu allen Zeiten durch den Zirkel, oder den gerechten Kreis symbolisch ausgedrückt wurde. Im Zirkel ist die Kraft, die Festigkeit, das beharrliche Streben stets wieder an den ersten Ausgangspunkt zu gelangen ausgedrückt, er ist das wirksamste Instrument der praktischen Baukunst."(16) |
Die
Handschenk, Grußzeremonien
Die Handschenk war eine bestimmte Art des Händedrucks bei der Begrüßung zweier Brüder, die sich so gegenseitig zu erkennen gaben, dass sie ehrbare Gesellen waren. Jeder der sich Begrüßenden drückte mit dem Daumen den ersten Knöchel des Zeigefingers des anderen zweimal schnell hintereinander, um dann nach kurzer Pause noch einmal etwas fester und länger zu drücken. War sich einer der Grüßenden nicht sicher, ob es sich bei seinem Gegenüber um einen Bruder handelte, so wurde der Gruß wiederholt. Der ausgestreckte Zeigefinger drückte dabei etwas kräftiger |
auf die
Pulsgegend des anderen. Dieser vermutlich auf der
Straßburger Tagung von 1563 vereinbarte Händedruck
wurde so schnell und unauffällig gegeben, dass ein nicht
Eingeweihter dies nicht bemerken konnte. Auch die
Zeremonien beim Einlaß in eine Hütte waren genauestens
geregelt: Der wandernde Geselle hatte dreimal anzuklopfen und auf ein gleiches Zeichen aus dem Inneren der Hütte zu warten. Erst danach durfte er eintreten. Die Hüttenmitglieder hatten sich unterdessen in einer bestimmten geometrischen Stellung in der Hütte aufgestellt, den Schurz dreieckig nach oben geschlagen. Der Meister stand an einem für diese geometrische Figur zentralen |
Punkt. Diesen
mußte der Geselle erkennen. Andere Quellen berichten,
dass die Hüttenmitglieder stets einen Halbkreis
oder Winkel bildeten, und zwar derart,
dass der Eintretende in dessen Mittelpunkt stand und mit
drei Schritten auf den Meister zugehen konnte. Die Schritte zum Meister waren genau vorgeschrieben. In der Ausgangsstellung waren die Füße senkrecht zueinander gestellt, der Blick in Richtung des rechten Fußes gerichtet. Mit dem rechten Fuß wurde der Schritt ausgeführt, der linke Fuß hinterhergezogen. Der Geselle mußte sein Zeichen aufzeichnen und erklären, sodann folgte eine Reihe vorgeschriebener Fragen und Antworten: |
"Was trägt er unter seiner Zunge? Verschwiegenheit! Was trägt er unter seinem Hut? Zucht und Ehrbarkeit! Warum trägt er einen Stock? Gott und allen braven Steinhauern zur Ehr, mir zum Nutz und andern Hundsfottern zum Trutz! Warum trägt er einen Schurz? Allen braven Steinhauern zur Ehr, und mir zum Nutz!" |
Erst nach Beendigung dieser vollständigen Begrüßungs- zeremonie wurde der Fremde als ehrbarer Geselle akzeptiert. Auf der Wanderschaft war es wichtig, schon von Weitem den ehrbaren Gesellen von einem potentiellen Straßenräuber unterscheiden zu können. Begegneten sich zwei wandernde Gesellen in freier Landschaft, so hatten | sie beim
aufeinander Zugehen ihren Stock in einer bestimmten Weise
zu halten, die erstens einen Angriff durch plötzliches,
überraschendes Zuschlagen unmöglich machte und zweitens
als Erkennungszeichen diente. Ein weiteres Erkennungs- merkmal war das sogenannte Halszeichen, das dadurch |
gegeben wurde, dass man die vier Finger der rechten Hand so unter das Kinn legte, dass der Daumen unter dem rechten Ohr lag und nach hinten zeigte. Alle diese Zeremonien unterlagen strengster Geheimhaltung, die in allen Ordnungen gefordert wurde. Als Beispiel sei hier die Breslauer Bruderschaftsordnung zitiert: |
"Was ein Diender einem Handwerk geloben soll, wann er ausgedienet und man ihn ledig sagen will. Ich gelobe und verspreche, dass ich den Steinmetzengruß, noch die Bruderschaft, wie auch die Schenk niemandes eröffnen oder sagen will, denn wenn ich's sagen soll, weder meinem Vater noch Mutter, noch Schwester oder Bruder, noch einigen Menschen nicht, auch garnichts davon schreiben. So wahr mir Gott helfe."(17) |